Ob bei der Planung eines neuen Skateparks in der Stadt, oder Entscheidungen über Radwege und öffentliche Verkehrsmittel – die Einbeziehung junger Menschen fördert nicht nur ihre Mitverantwortung, sondern sorgt auch dafür, dass die Gemeinde insgesamt lebenswerter und zukunftsfähiger wird. Außerdem haben Kinder und Jugendliche einen Rechtsanspruch auf Beteiligung. Das ergibt sich unter anderem aus der UN-Kinderrechtskonvention und dem Achten Sozialgesetzbuch.

Anne Brülls und ihre Kolleg*innen aus der Fachberatung Jugendförderung vom LVR-Landesjugendamt Rheinland unterstützen Kommunen dabei, eigenständige Jugendpolitik und Partizipation umzusetzen. Wie vor Ort an einer besseren Beteiligung junger Menschen gearbeitet wird, erklärt Anne Brülls im Interview. Auf unserer Website „Demokratie stärken – Vielfalt leben“ stellen wir bald auch eines der Projekte in einer Videostory vor.

"Für gute und nachhaltige Entscheidungen dürfen wir auf die Expertise junger Menschen nicht verzichten."

Portrait von Anne Brülls Anne Brülls, LVR-Landesjugendamt Rheinland

Das LVR-Landesjugendamt Rheinland unterstützt Kommunen dabei, Kinder und Jugendliche besser zu beteiligen. Wie machen Sie das?

Anne Brülls: Wir bieten Beratung und Fortbildung zum Thema Kinder- und Jugendbeteiligung und Jugendpolitik an. Wir unterstützen bei Konzeptentwicklungen, der Etablierung von Beteiligungsprozessen und der Umsetzung von Qualitätsstandards für Beteiligung auf kommunaler Ebene. Fachkräfte qualifizieren wir durch Tagungen, Seminare und Fachvorträge – auch vor Ort. Wir sind gut vernetzt, dokumentieren Beispiele gelungener Praxis und entwickeln Arbeitshilfen. Im letzten Jahr haben wir beispielsweise gemeinsam mit dem Netzwerk Jugendpolitik NRW die Handreichung Kinder- und Jugendbeteiligung für eine lebenswerte Kommune herausgegeben. Gerne präsentieren wir auch jugendpolitische Themen im Jugendhilfeausschuss. Wir begleiten bei der Erstellung der kommunalen Kinder- und Jugendförderpläne – unter anderem auch bei Beteiligungsprozessen mit jungen Menschen. Darüber hinaus beraten wir zur Antragstellung aus dem Kinder- und Ju­gendförderplan des Landes NRW.

Wir arbeiten landesweit eng mit der Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung NRW im LWL-Landesjugendamt zusammen.

Die meisten Entscheidungen in einer Kommune werden von Erwachsenen getroffen. Warum sollten auch Kinder und Jugendliche mit einbezogen werden?

Anne Brülls: Gesellschaftliche und globale Entwicklungen betreffen junge Menschen häufig besonders. Sie tragen kommunale Entscheidungen mittel- und langfristig mit.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung. Die UN-Kinderrechtskonvention sollte verbindlicher umgesetzt werden, denn junge Menschen sind Expert*innen in eigener Sache. In Nordrhein-Westfalen werden die Beteiligungsrechte im 3. Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz konkretisiert: Kinder und Jugendliche sollen an allen Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen beteiligt werden, die ihre Interessen berühren. Für gute und nachhaltige Entscheidungen dürfen wir auf die Expertise junger Menschen nicht verzichten.

Welche Themen oder Bereiche halten Sie für besonders relevant, wenn es um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geht?

Anne Brülls: Im Gespräch mit jungen Menschen gibt es viele Themen, die sie bewegen: Von Schultoiletten, über Mobilität, Verkehr, Infrastruktur sowie Bildungs- und Freizeitangebote, bis hin zur Gestaltung von Spiel- und Freiflächen ist alles dabei. Kinder- und Jugendbeteiligung ist wichtig, um aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen.

Gruppe von Jugendlichen strecken die Arme zusammen und schlagen ein.
„Kinder- und Jugendbeteiligung ermöglicht Teilhabe und Selbstwirksamkeit unabhängig vom sozioökonomischen Status“, sagt Anne Brülls.

Welche Formen der Beteiligung gibt es in einer Kommune für junge Menschen?

Anne Brülls: Es gibt auf kommunaler Ebene vielfältige Möglichkeiten, Angebote und Methoden zur Mitsprache. Kinder- und Jugendliche sind eine superdiverse Zielgruppe mit unterschiedlichen Hintergründen und Interessen. Deshalb reicht die Schaffung eines einzelnen Beteiligungsformats nicht aus. Um den unterschiedlichen Zielgruppen mit ihren jeweiligen Erfahrungen, Möglichkeiten, Zugängen und Interessen gerecht zu werden, bedarf es einer vielfältigen Beteiligungslandschaft. Ziel ist, unterschiedlichen jungen Menschen zu ermöglichen, sich zu beteiligen.

Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und Jugendverbände machen Demokratie in ihrer alltäglichen Arbeit erlebbar und erlernbar. Bei der sozialraumorientierten Beteiligung werden junge Menschen in kommunalen Planungsprozessen im Sozialraum, wie die Gestaltung einer Freifläche, eines Schwimmbades oder einer Bibliothek einbezogen. Selbstorganisation bezeichnet die Selbstverwaltung eigener Projekte und Aktionen.

Es gibt viele offene, projektorientierte und institutionelle Beteiligungsmöglichkeiten. Die Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung NRW beim LWL-Landesjugendamt veröffentlicht auf einer Karte die „bunte Mischung an Kinder- und Jugendbeteiligung“. Eine Übersicht Stadt- und Kreisjugendringe NRW hat der Landesjugendring NRW erstellt. Kommunale Jugendringe bündeln die Jugendverbände und Jugendorganisationen vor Ort. Sie haben die Aufgabe, die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Politik und Gesellschaft zu vertreten.

Welche Rolle spielt Kinder- und Jugendbeteiligung für unsere Demokratie?

Anne Brülls: Die Kommune ist der erste Ort an dem junge Menschen Demokratie erfahren. Sie erleben sich selbst als handelnde Akteur*innen und setzen sich für ihre Interessen ein. Demokratie muss gelernt und gelebt werden. Kinder- und Jugendbeteiligung bietet die Möglichkeit, Bildungserfahrungen außerhalb der Schule zu sammeln. Sie ermöglicht Teilhabe und Selbstwirksamkeit unabhängig vom sozioökonomischen Status. So wirkt sie Ausgrenzung, Konflikten und Frust entgegen und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Das Bundesjugendkuratorium weist in seinem Diskussionspapier „Generationengerechtigkeit: Die Rechte junger Menschen in der alternden Gesellschaft stärken!“ auf die Notwendigkeit hin, die Rechte junger Menschen in einer immer älter werdenden Gesellschaft zu diskutieren. Aktuell sind über die Hälfte der Wahlberechtigen in Deutschland älter als 53 Jahre, dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Es bleibt zu diskutieren, wie Generationengerechtigkeit und eine zukunftsorientierte Demokratie gestaltet werden können. Kinder- und Jugendbeteiligung ist hierfür essentiell.